Leben
Wochenmagazin Forum // Artikel vom 12.07.2019
Der Werdegang
Als ich Kind war, wurden mir viele Geschichten erzählt und vorgelesen. Sobald ich selber lesen konnte, habe ich mich oft mit einem Buch verkrochen, bin in die andere Welt der unterschiedlichen Geschichten eingetaucht und habe um mich herum alles vergessen. Jede Erzählung hat ein bestimmtes Gefühl in mir ausgelöst, dem ich gefolgt bin. Vor meinem inneren Auge sind Bilder entstanden, egal, ob die Geschichte abenteuerlich, schmerzlich oder lustig war, ich bin mit auf die Reise gegangen. Dies geschah ganz still und unbeweglich, doch innerlich eröffnete sich mir eine aufregende Welt, die ich miterleben durfte.
Das änderte sich als ich zum ersten Mal in einem Ferienlager die Aufgabe bekam aus drei Worten eine Geschichte zu erfinden und diese dann auch zusammen mit anderen Kindern vorzuspielen.
Plötzlich verwandelte sich alles. Es gab die Geschichte, die ich selbst erfunden hatte, es gab eine Rolle und dazu ein passendes Kostüm. Die Geschichte wurde lebendig und ich füllte sie mit einem Charakter, der sich bewegte und sprechen konnte.
Seitdem beobachtete ich die Menschen viel genauer, imitierte ihre Gestik, Mimik, versuchte ihre Sprache zu erfassen und sie mit meiner eigenen anzureichern. Wieder gab es ein bestimmtes Gefühl dazu: es war als würde mein Herz hüpfen und alles in mir leicht werden. Die Welt verwandelte sich durch das Spiel.
Nach meinem Abitur war mir nicht klar, dass ich mit genau diesen Erfahrungen einen Beruf würde erlernen können. Deshalb habe ich zunächst den Umweg über ein Fremdsprachen College genommen, um dann den Weg zur Theaterpädagogin anzutreten. Dadurch lernte ich viel über berühmte Theaterschaffende, über Regie, das Schauspiel und wie ich Menschen zu einem theatralischen Ausdruck in ihrem Spiel bringe. Das reichte mir nicht. Ich wollte selber der Mensch sein, der auf der Bühne steht und spielt. Deshalb besuchte ich schließlich eine Schauspielschule und fand zurück zu dem Gefühl, durch das Spiel Menschen in Bewegung bringen zu können. Ich spürte, wie sowohl mein Innenleben als auch das des Publikums aufgerührt wurde, es in eine Welt eintauchte, die ich selber mit eröffnete. Die Intensität eines solchen Augenblicks war und ist für mich pure Lebendigkeit. Diese zu spüren und andere daran teilhaben zu lassen, macht mich jedes Mal glücklich.
Seitdem erlebe ich dieses Glück in der Arbeit unterschiedlicher Theaterinszenierungen, Hörfunk- und Filmproduktionen, als auch beim Verfassen und Lesen eigener Geschichten, Live-Hörspielen und Szenen.
Für mich immer wiederkehrend ist eine besondere Art der Herangehensweise: Es wird von einem bestimmten Thema ausgehend ein Theaterstück, ein Live-Hörspiel, ein Film oder eine Regiearbeit sinnlich entwickelt. Dabei liegt ihr Schwerpunkt auf einer intensiven Recherche, unter Berücksichtigung bedeutender Belange, einer bestimmten Gruppe von Menschen, ihren Geschichten oder der Untersuchung eines ungewöhnlichen Ortes und dessen Ausstrahlung.
Ein ebenfalls wiederkehrender Moment von Glück und Lebendigkeit ist das Schlüpfen in eine bestimmte Rolle oder Kunstfigur, die mit ihrem interaktiven Auftreten Menschen und ihre Umgebung verändert, sie zum Nachdenken, zum Lächeln oder zur Stille bewegt.